Einmal einen Weltrekord aufstellen! Aber wie? Als untrainierter 35-Jähriger sind sportliche Höchstleistungen nahezu unmöglich. Für einen Flugzeugfanatiker wie mich aber gibt es eine Möglichkeit: die schnellste Weltumrundung aller Zeiten! Jules Vernes „In 80 Tagen um die Welt“ im 3. Jahrtausend – mit Linienflugzeugen!

Doch die Hürde, die das Guinness-Buch der Rekorde vorgibt, ist hoch: in 68 Stunden und 5 Minuten haben die Briten Michael Bartlett and David J. Springbett es 1999 geschafft, dabei einen Fuß auf alle sechs Kontinente Nord- und Südamerika, Europa, Afrika, Asien und Ozeanien zu setzen.Die Planung – ganz mühsam. Tage und Nächte am Internet, Flugpläne studieren, über 400 Seiten rauschen aus dem Drucker. Wo starten? Europa, Amerika oder Afrika? Frankfurt oder London? Los Angeles oder New York? Klappt alles nicht, immer ist der Stop in Asien zu lange. Wo sind die Anschlussverbindungen so lang, dass man den nächsten Flieger erreicht, aber gleichzeitig nicht zuviel Zeit verliert? Erst nach zehn Tagen die Erlösung: Die Route steht, der Start muss in Asien sein, in Singapur. Das Abenteuer kann beginnen.

Flug SQ 231, Singapur-Sydney Es ist 0.20 Uhr nachts und eigentlich sollte die Boeing 747 der Singapore Airlines um diese Zeit abheben, als sich Kapitän Yong Kian Nan meldet: „Wir haben Probleme im Cockpit, müssen auf die Mechaniker warten.“ Gleich drei Mann entern wenig später mit ernster Miene den Flieger und ich komme ins Grübeln. Sollte der Weltrekordversuch gleich am ersten Flug scheitern?Die Sekunden kommen mir wie Minuten vor und selbst ein Glas Rotwein trägt nicht unbedingt zur Beruhigung bei, nervös laufe ich im Kabinengang auf und ab. Nach endlosen 34 Minuten die erlösende Durchsage: „In 20 Minuten heben wir ab.“ Aber wird das reichen? Eingeplant waren in Sydney 70 Minuten Umsteigezeit...Augen zu und durch – heißt: Sitz nach hinten klappen und versuchen zu schlafen. Was aber nur anfangs gelingt, da ich auf den Rat meines Medizinkollegen Bernd Schwedhelm höre und Wasser trinke wie ein Kamel. Pro Stunde einen halben Liter. Hilft zwar prima gegen Austrocknung und beugt der berühmten Reise-Thrombose vor, hat aber zur Folge, dass mein „Lebensrhythmus“ ab sofort so aussieht: Eine Stunde liegen oder sitzen, Toilette, halben Liter Wasser trinken, eine Stunde liegen, Toilette, Wasser, liegen, Toilette... 16 Minuten vor dem nächsten Abflug setzt die Maschine in Sydney auf. 

Flug QF 107, Sydney-Los Angeles Jennifer und Stuart sind die guten Geister von Qantas – zumindest für mich. Sie stehen mit einem Elektrowagen am Gate, fahren mich mit orangem Warnlicht zu einer Dusche (fünf Minuten inkl. Nassrasur und natürlich dem stündlichen Toilettengang) und anschließend zum Flieger. Der startet zwar dann auch mit zehn Minuten Verspätung, aber Kapitän Ian Emery gibt kräftig Gas, schafft es, in nur 13.11 Stunden in Los Angeles zu landen. Ich bin wieder im Plan.

Flug CO 1107, Los Angeles-Houston Gäbe es einen Weltrekord für den schnellsten Flugzeugwechsel in Amerika – zusammen mit David M. Braney von Continentel Airlines hätte ich ihn gebrochen. Er hetzt mich durch den Flughafen, als ob ich auf der Flucht sei. Vom Verlassen des Fliegers über Einwanderungsbehörde, Zoll, Laufen von Terminal 4 nach 6, Check-in, Sicherheitskontrolle bis hin zum Betreten des nächsten Jets vergehen exakt 40 Minuten – „normal“ sind in Los Angeles zwei Stunden... Eigentlich bin ich todmüde, aber an Schlaf ist nicht zu denken. Meine Platznachbarin zur Rechten quatscht mich gleich an „Where are you from?“ – „Woher kommst Du?“ Sie heißt Jerry G. Reeve, ist eine 83 Jahre alte, aber extrem rüstigen Rentnerin, die gerade auf dem Heimflug von Hawaii ist, wo sie einen ihrer drei Söhne besucht hat. Überhaupt würde sie sechs bis acht Reisen im Jahr machen, war auch schon in Deutschland, schwärmt vom Brandenburger Tor und Neuschwanstein. Und ihre Nachbarn in Houston kommen aus dem Schwarzwald und aus Berlin, die seit 30 Jahren in Houston leben. Mit ihr vergehen die 2.50 Stunden wortwörtlich wie im Flug.Landung in Houston - überpünktlich. Aber zu früh gefreut.

Flug CO 1928, Houston - Caracas Denn wenn es mal schief geht, dann so richtig. Es ist 15.35 Uhr und alle Passagiere sitzen pünktlichst auf ihren Sitzen – nur bewegen tut sich nichts. Houston, wir haben ein Problem. Und zwar nicht nur eins, sondern gleich vier.Hiobsbotschaft 1: Kapitän Rick Swanson meldet sich aus dem Cockpit der 737: „Ein Gewitter außerhalb von Houston, die Startbahn ist gesperrt.“Hiobsbotschaft 2: Als nach 25 Minuten Wartezeit die Startbahn endlich wieder geöffnet ist, sind wir Flugzeug Nummer 17(!) in der Warteschlange.Hiobsbotschaft 3: Als wir endlich Nummer 1 in der Schlange sind, beträgt die Verspätung schon eine Stunde.Hiobsbotschaft 4: Anstatt jetzt Gas zu geben, rollt die Boeing langsam von der Startbahn Richtung Terminal, schaltet dort die Triebwerke ab – und Käpt`n Swanson meldet sich wieder: „Unser Geschwindigkeitsmesser meldet einen Defekt, wir müssen auf die Mechaniker warten.“ Und wenig später: „Ach ja, sie dürfen gerne mit ihren Handys telefonieren.“ Danke, das war’s.Zum Umsteigen in Caracas waren 117 Minuten eingeplant, 63 sind schon „verbraucht“. Wenn die Mühle nicht in maximal 40 Minuten abhebt, ist der Flieger nach London weg.Doch die Götter der Lüfte sind gnädig - mit fast 105 Minuten Verspätung und reparierten Geschwindigkeitsmesser hebt der Jet endlich ab. Ob es reicht? Fast fünf Stunden Zittern.Es ist 23.30 Uhr Ortszeit, als die Continental-Maschine in Caracas aufsetzt – fünf Minuten vor Abflug der British Airways-Boeing nach London. Ein Blick aus dem Fenster beruhigt für’s Erste: die Maschine steht noch am Terminal. Noch vor dem Abschalten der Triebwerke ist der Gurt gelöst – bloß raus.

Flug BA 248, Caracas-London Im Flughafen-Gebäude höre ich meinen Namen – Mercedes von der Bodencrew wedelt mit der nächsten Bordkarte. Im Schweinsgalopp hasten wir 350 Meter durchs Gebäude zum nächsten Gate. Kurzer Personenkontrolle (die elektrische Schleuse ist kaputt), ein Blick ins Handgepäck, ab in den Flieger, Tür zu und – weg. Geschafft!

Flug BA 155 London-Kairo In London ist zum ersten Mal Zeit, um sich auf der Flughafentoilette in Ruhe frisch zu machen, Haare waschen, rasieren und Zähneputzen, neues Hemd – aber der Rücken schmerzt, die Beine sind dick.Doch dann endlich mal ein Flug ohne Hindernisse. Einsteigen, anschnallen, abheben, wohlfühlen - und vor allen Dingen einmal so landen, wie es im Flugplan steht. Warum konnte das nicht die ganze Zeit so gehen?

Flug MH 159 Kairo-Kuala Lumpur Transit-Passagiere brauchen in Kairo starke Nerven. Eine schäbige Wartehalle, wanzenverseuchte Sofas und korruptes Personal. Am Eingang werden Pässe und Tickets von einem Beamten abgenommen. Und die gibt er erst wenige Minuten vor Abflug wieder raus – gegen Bares: „Bakschisch bitte“, - Schmiergeld - ist seine klare Aufforderung, „20 Dollar ist ok.“ Für lange Verhandlungen ist keine Zeit mehr, immerhin gelingt es, den Preis auf zehn Dollar zu drücken.Wieder als einer der letzten bin ich am Gate 4. Schlechte Nachrichten bin ich ja gewohnt, und so kann mich kurz nach dem Start auch die Ansage von Kapitän Sany nicht schocken: „Wir haben starken Gegenwind, der Flug wird länger dauern.“ Wie viel länger, sehe ich erst einige Stunden später auf der Videoleinwand: Statt 860 fliegen wir nur mit 700 Stundenkilometern, der Flug wird statt 9.30 Stunden quälend lange 10.57 Stunden dauern. Schnell vergehen tut die Zeit nicht, denn Sitznachbar Belal, ein palästinensischer Student, ist alles andere als gesprächig. Guckt grimmig, grüßt nicht, spricht nicht. Erst kurz vor der Landung taut er auf. Es sei der erste Flug seines Lebens gewesen und er habe Angst gehabt. Hätte er auch gleich sagen können – dann hätte ich ihm noch etwas über Turbulenzen und „Luftlöcher“ erzählt...

Flug SQ 117 Kuala Lumpur-Singapur Neunzig Minuten Verspätung in Kuala Lumpur. Was beruhigt: Es ist mit verbleibenden 30 Minuten Transit nicht sooo knapp. Was beunruhigt: Obwohl eigentlich schon mit dem Einsteigen begonnen werden soll, ist die „Triple Seven“ (Boeing 777) der Singapore Airlines noch nicht da.Trotz aller Widrigkeiten immer noch „just in time“ in Kuala Lumpur und dann soll der Weltrekord an lausigen 300 Flugkilometern scheitern? Aber wie auf Bestellung biegt der Jet in diesem Moment um die Ecke – Glück gehabt. Jetzt muss er nur noch pünktlich abheben – und alles wird gut. Aber wieder werden die Nerven auf eine harte Geduldsprobe gestellt. Das Einsteigen dauert ewig – und erst mit 18 Minuten Verspätung steigt die 777 in den Himmel.Fast im Minutentakt schaue ich jetzt auf die Uhr, was auch Sitznachbar Danny Ooi bemerkt. Der arbeitet für das deutsche Unternehmen Degussa in Singapur, fragt mir Löcher in den Bauch, will alles über den Rekordflug wissen, um es seinen Söhnen erzählen zu können. Gemeinsam fiebern wir fortan in 7000 Meter Höhe – bis die Maschine um 19.45 Uhr Ortszeit wieder in Singapur aufsetzt.

Kurze Rechnerei, dann die Gewissheit: 66 Stunden und 31 Minuten – BamS hat den Weltrekord geknackt und gleich um 94 Minuten verbessert. Doch Jubel? Fehlanzeige. Stattdessen nach 43508 Kilometern und dem „Genuss“ von über 30 Litern stillem Mineralwasser nur ein Gedanke: Endlich ist es vorbei. Noch schnell ein Gruppenfoto mit der letzten Crew, dann ab ins Hotel. Dort wartet Heinrich Grafe, Direktor des Conrad Centennial, mit einem Glas Champagner zur Begrüßung. Doch der viel größere Genuss ist für mich, endlich meine müden Knochen in der warmen Badewanne ausstrecken zu können. Und wovor es mir in dem Moment doch ein bisschen graut, ist der Rückflug nach Hause am nächsten Tag.

PS: Der hatte über zwei Stunden Verspätung – und in Frankfurt habe ich meinen Anschlussflieger nach Hamburg verpasst... 

 
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